Islam konkret

                                                Diskussionsbeiträge und Anregungen

 
 


Geburt und Tod Jesu

1 - Hatte Jesus einen Vater, oder: Woher stammte sein Y-Chromosom?

 

Die Mehrheit der Muslime und Christen glauben, dass Jesus ohne Zutun eines Mannes geboren wurde.

 

Aus dem Biologieunterricht in der Schule wissen wir, dass eine Zeugung eines Jungen ohne männliche Samenzelle nicht möglich ist. Stehen daher die Aussage der Religionen bzw. der Schriften dieser Religionen im Widerspruch zu den Naturwissenschaften? Oder anders gefragt: Gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was Allah geschaffen hat und dem, was Er den Menschen offenbart hat?

 

Zunächst einmal: Wie entsteht ein Mensch,

und wodurch wird sein Geschlecht bestimmt?

 

Lexikalisches

Die folgenden Zitate stammen aus: Der Brockhaus von A – Z in drei Bänden, Mannheim 2000.

 

Band 1, S. 152 f.:

„Befruchtung [ist die] Verschmelzung zweier sexuell unterschiedl.  Geschlechtszellen (Gametogamie) oder Zellkerne (Karyogamie). Das Produkt ist eine diploide Zelle, die Zygote genannt wird. Die Bedeutung der B[efruchtung]. Liegt in einer Neuverteilung des elterl. Erbgutes in den Nachkommen. Die Verschmelzung eines männl. Kerns mit einem weibl. Würde in jeder Generation zur Verdoppelung der Chromosomenzahl führen. Deshalb muss vor jeder B[efruchtung]. bei der Bildung der Gameten bzw. der Geschlechtskerne der doppelte (diploide) Chromosomensatz auf einen einfachen (haploiden) reduziert werden. Dies geschieht während der Reduktionsteilung.  [...]“


Band 1, S. 270, über die Chromosomen:

„[...] Die diploiden Körperzellen des Menschen enthalten 46 C[hromosomen]., die sich nach Form und Genbestand in 22 Autosomenpaare [Chromosom 1 – 22, aufgeteilt in die Gruppen A – G) und ein Paar Geschlechts-C[hromosomen] (XX bei der Frau und XY beim Mann) unterteilen lassen. Die durch Reduktionsteilung entstehenden (haploiden) Keimzellen (Eizellen, Spermien) enthalten 22 Autosomen und 1 Geschlechts- C[hromosom] (X- oder Y-Chromosom).“

Mit anderen Worten: Da eine Körperzelle einer Frau zwei X-Chromosomen hat, kann jede Eizelle nach der Reduktionsteilung nur ein X-Chromosom enthalten, während es bei einem Mann sowohl ein X- als auch ein Y-Chromosom gibt, die Samenzellen daher entweder ein X- oder ein Y-Chromosom enthalten können. Bei der Vereinigung einer Samen- mit einer Eizelle entsteht entweder ein weiblicher Mensch, indem sich ein Samenfaden mit einem X-Chromosom mit einer Eizelle vereinigt, oder ein männlicher Mensch, indem sich ein Samenfaden mit einem Y-Chromosom mit einer Eizelle vereinigt.

Wenn an der Entstehung Jesu kein Mann beteiligt gewesen sein soll, woher stammt dann das für sein männliches Geschlecht erforderliche Y-Chromosom?

 

Seit einiger Zeit ist es möglich, durch sogenanntes Klonen, Leben zu erzeugen ohne eine Befruchtung. Was ist Klonen?

 

Band 2, S. 216:

Klonen (Klonieren), Bez. für das Herstellen einer größeren Anzahl gleichartiger, genetisch ident. [ischer] Nachkommen von einem Individuum (Klon). [...]“

Wenn das Material zum Erstellen eines Klons von Maria gestammt haben sollte, so könnte das Ergebnis wieder nur ein weiblicher Mensch sein. Oder stammte es von Josef?

Die frühesten Aussagen über die Geburt Jesu stammen aus christlichen Quellen.


Was sagt das Neue Testament darüber?

Lexikalisches

Welche Rückschlüsse lassen die biblischen Texte zu – unabhängig von der Dogmenbildung im Laufe der christlichen Geschichte?

Die Beiträge der nachfolgenden Zitate aus Reclams Bibellexikon sind alle mit „R.“ gekennzeichnet, d.h. sie stammen aus der Feder von Dr. Rüdiger Roloff, ordentlicher Professor für  Neues Testament an der Universität Erlangen-Nürnberg.

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 259, Stichwort „Jungfrauengeburt“:

Jungfrauengeburt, Geburt eines Kindes ohne menschliche Zeugung bzw. ohne menschlichen Vater. Die J. [=Jungfrauengeburt] von Heroen (z. B. Herakles) und Königen (z. B. Alexander d. Gr.= war in der Antike eine geläufige Vorstellung. Dem AT [= AltenTestament] war sie allerdings fremd; Jes 7, 14 spricht lediglich von der Geburt eines Kindes durch eine »junge Frau«. Von einer J. [= Jungfrauengeburt] Jesu ist im NT [= NeuenTestament] nur in zwei legendarischen Erzählungen, die keineswegs alter Tradition entstammen, die Rede (Mt 1, 18-25; Lk 1, 26-38); [...] Ihnen stehen jedoch gewichtige alte Zeugnisse gegenüber, die von einer J. [= Jungfrauengeburt] Jesu nichts zu wissen scheinen (Lk 3, 23; Joh 1, 45; 6,42), ja dem Gedanken an sie sogar widerstreiten (Gal 4, 4). [...]“

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 319, Stichwort „Maria“:

„Maria, hebr. [äisch] Mirjam, zur Zeit Jesu häufiger Name.

1. M., die Mutter Jesu, wird bereits in der älteren synoptischen Überlieferung namentlich erwähnt (Mk 6, 3; Mt 13, 55). Als historisch gesichert kann gelten, daß sie aus è Nazareth in Galiläa stammte (Lk 1, 26), daß sie mit dem Davididen è Josef (2) verheiratet war und mehrere Kinder hatte (Mk 3, 21, 31 ff.), daß sie zunächst mit ihrer Familie in Distanz zum Wirken Jesu blieb sowie wahrscheinlich auch, daß sie nach Ostern zum Kreise der Jünger Jesu stieß (Apg 1, 14). [...]“

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 255, Stichwort „Josef“:

„[...] 2. Vater Jesu, nach glaubhafter Überlieferung aus davidischem Geschlecht, Bauhandwerker in Nazareth in Galiläa (Mt 13, 55; Joh 1, 45; 6, 42). Nach Lk 2, 4 f. stammte er aus Betlehem [...]“

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 471, Stichwort „Stammbaum Jesu“:

Stammbaum Jesu. Die beiden S.e J [= Stammbäume Jesu] in Mt 1, 2-17 und Lk 3,23-38 haben keinen Geschichtswert, sondern sind theologische Kompositionen voll tiefgründiger Symbolik. Matthäus führt den S. in absteigender Linie von Abraham, dem Stammvater Israels, auf Jesus und gliedert kunstvoll in 3 mal 14 Gliedern. Auffällig ist die Nennung von Frauen an gehobener Stelle (Tamar, Rahab, Rut, die Frau des Urija).

Der Heidenchrist Lukas führt den S. in aufsteigender Linie von J. zu Adam, dem Stammvater der Menschheit (Christus = zweiter Adam?; vgl. Röm. 5, 15 f.; 1 Kor 15, 21 ff.) und nennt 77 Glieder. [...]“

 

Sowohl Matthäus in 1, 16 als auch Lukas in 3, 23 führen ihren jeweiligen Stammbaum Jesu über Josef, d.h. über die männliche Linie. Das macht nur Sinn, wenn Josef der Vater von Jesus war.

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 247 – 250, Stichwort „Jesu Christus“:

„[...] Sein Heimat- und wohl auch sein Geburtsort war Nazaret in Galiläa; die Überlieferung von der Geburt in Betlehem (Mt 1-2; Lk 2) ist, weil von dogmatischen Motiven geprägt, historisch fragwürdig (> Geburt Jesu). Gut belegt ist hingegen seine Herkunft aus dem Hause Davids (Mt 1, 1-17; Röm. 1, 3 f.; Mk 10, 47 f.). [...]“

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 157, Stichwort „Geburt Jesu“:

Geburt Jesu, im NT [= NeuenTestament] relativ selten erwähnt; Markus, der älteste Evangelist, schweigt von ihr und setzt erst mit der Taufe ein. Paulus erwähnt sie lediglich beiläufig, um die jüd. Herkunft Jesu (Röm 1, 3) bzw. auf seine Gebundenheit an menschliches Geschick (Gal 4, 4) hinzuweisen. Nur Matthäus und Lukas erzählen ausführlicher von Jesu G. [= Geburt] und Herkunft, und zwar in stark legendarischer Form. Ihre in Einzelheiten weit voneinander abweichende Darstellungen sind vom Glauben der Gemeinde, nicht jedoch von  historischen Erinnerungen geprägt [...].“

 

Die Stellen im Neuen Testament

Jesus hatte einen Vater:

 

Mt 13, 55-56

55 Ist das nicht des Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus und Joseph und Simon und Judas?

56 Und sind nicht seine Schwestern alle bei uns? Woher hat er denn das alles?“ Und sie nahmen Anstoß an ihm.

 

Mk 3, 31:

31 Und seine Mutter und seine Brüder kamen, blieben draußen und schickten zu ihm, ihn zu rufen.

 

Lk 3, 23

23 Als Jesus auftrat, war er ungefähr dreißig Jahre alt und war, wie man glaubte, der Sohn Josephs, (des Sohnes) des Eli [...].

 

Joh 1, 45:

45 Philippus trifft den Natanel und sagt zu ihm: „Der, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und die Propheten, den haben wir gefunden; nämlich Jesus, den Sohn Josephs, aus Nazaret“.

 

Joh  6,42:

42 und sie sprachen: „Ist der da nicht Jesus, der Sohn des Joseph, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt behaupten: Ich bin vom Himmel herabgekommen?“

 

Gal 4, 4:

4 Als aber die Fülle der Zeit kam, entsandte Gott seinen Sohn, geboren aus einer Frau, dem Gesetz unterstellt.

 

Jesus hatte keinen Vater:

 

Mt 1, 18-25:

25 er [Joseph] erkannte sie aber nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte; und er gab ihm den Namen Jesus.

 

Lk 1, 26-38:

25 ...

31 Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären und sollst ihm den Namen Jesus geben.

32 Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; ..

34 Maria aber sprach zu dem Engel: „Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“

 

Was sagt der Qur’ân über Jesu Geburt?


(3: 45 - 47)

Wie die Engel sprachen: „O Maria, Allah gibt dir frohe Kunde durch ein Wort von Ihm: sein Name soll sein der Messias, Jesus, der Sohn der Maria, geehrt in dieser und in jener Welt, einer der (Gott) nahen

Und er wird zu den Menschen in der Wiege reden und im Mannesalter und der Rechtschaffenen einer sein.“

Sie sprach: „Mein Herr, wie soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat?“ Er sprach: „So ist Allahs (Weg), Er schafft, was Ihm gefällt. Wenn Er ein Ding beschließt, so spricht Er zu ihm: Sei!, und es ist.

 

Der Vers 3: 47 wird oft in dem Sinne verstanden, dass Jesus in Maria ohne Zutun eines Mannes erschaffen wurde. Der bloße Text gibt diese Deutung nicht her, es sei denn, man setzt die Glaubenssätze der Christen als Basis hierfür voraus.

 

So finden wir bei Maulana Muhammad Ali, The Holy Qur’ân, Arabic Text, Translation and Commentary, Lahore 1951, zu dieser Stelle (S.143, Kommentar 427):

“[...] Nur ihre Vermählung wurde bis jetzt beschlossen, und vielleicht war sie davon nicht informiert, als ihr die frohe Botschaft überbracht wurde, dass ihr ein Sohn geboren werde. Daher sagt sie, dass sie noch kein Mann berührt habe. Und ihr wurde zur Antwort gegeben: ‚So [soll] es [geschehen]’; d.h. das Kind wird geboren, da Gott die Umstände auf den Weg bringen wird, die zu der Geburt eines Kindes führen werden. Die Worte sagen nicht, dass sie außerhalb des üblichen Verlaufs der Natur empfangen wird, denn es besteht kein Zweifel, dass Maria andere Kinder hatte, bei denen niemand annimmt, dass sie außerhalb des üblichen Verlaufs der Natur empfangen wurden. (...)“

 

Diese Erklärung gilt ebenso für die folgenden Verse

(19: 16 – 23):

Erwähne (,was) in dem Buch (über) Maria (steht). Da sie sich zurückzog von den Ihren nach einem östlich (gelegenen) Ort,

Und sich vor ihnen verbarg im Schleier, da sandten Wir Unseren Geist zu ihr, und er erschien ihr in Gestalt eines vollkommenen Menschen.

Sie sprach: „Ich nehme meine Zuflucht vor dir bei dem Allerbarmer; (lass ab von mir) wenn du gottesfürchtig bist.“

Er antwortete: „Ich bin nur ein Gesandter deines Herrn, auf dass ich dir einen reinen Sohn beschere.“

Sie sprach: „Wie soll mir ein Sohn werden, wo mich kein Mann berührt hat und ich auch nicht unkeusch geworden bin?“

Er antwortete: „So ist’s; dein Herr aber spricht: Es ist Mir ein leichtes und (Wir tun dies) auf dass Wir ihn zu einem Zeichen machen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von Uns, und es ist eine beschlossene Sache."

 

 

Zu dem letzten Satz in Vers 19: 23 sagt Maulana Muhammad Ali, S. 597, im Kommentar 1537b:

„[...] Sie empfing ihn auf dem üblichen Weg, auf dem Frauen Kinder empfangen; [...]“

 

(3: 59)

Wahrlich, Jesus ist vor Allah wie Adam. Er erschuf ihn aus Erde, dann sprach Er zu ihm: „sei!“, und er war.

 

Hierzu wiederum Maulana Muhammad Ali, S. 148, Kommentar 443:

„Adam steht für den Menschen im allgemeinen, weil alle Menschen aus Erde erschaffen wurden. So sagt in 18: 37  der Gläubige zu seinem nicht glaubenden Gefährten: ‚Glaubst du nicht an Den, der dich aus Erde erschuf?’ Und in 22: 5 und 30: 20 und anderswo wird davon gesprochen, dass alle Menschen aus Erde erschaffen wurden. Alles, was damit gemeint ist, ist daher, dass Jesus nichts mehr als ein [gewöhnlicher] Sterblicher ist und dass es ein Irrtum ist, ihn als Gott anzusehen, wie die Christen es tun. Die Wörter ‚kun fa-yakûn’ unterstützen diese Bedeutung, da mit diesen Worten überall im Qur’ân das allgemeine und sich wiederholende Schöpfungsgesetz bezeichnet wird.

Wenn Adam als Eigenname genommen wird, so wäre die Bedeutung, dass so wie Adam aus Staub erschaffen wurde und dann von Allah erwählt oder gereinigt wurde, ebenso Jesus aus Staub erschaffen wurde, und seine Erwählung ähnlich der Erwählung Adams war, der Befehl in kun bezieht sich in diesem Fall auf die Erwählung eines rechtschaffenen Dieners Allahs. In beiden Fällen gibt es keine Bezugnahme darauf, dass Jesus hervorgebracht wurde ohne Beteiligung eines männlichen Elternteils. Die Kontroverse mit den Christen wird hier weitergeführt, und es ist ihr falscher Glaube an die Göttlichkeit Jesu, die hier verurteilt wird. [...] “

 

Um einiges missverständlicher kommentiert diese Stelle A. Yusuf Ali, The Holy Qur’ân, Text, Translation and Commentary, Band 1, S. 138, Kommentar 398:

„[...] Nach der Beschreibung des hohen Ranges, den Jesus als Prophet einnimmt, haben wir eine Zurückweisung des Dogmas, dass er Gott war oder der Sohn Gottes oder irgendetwas Höheres als ein Mensch. Wenn gesagt wird, dass er ohne einen menschlichen Vater geboren wurde, so wurde Adam auch so geboren. In der Tat wurde Adam ohne einen menschlichen Vater oder eine Mutter geboren. So weit unsere menschlichen Körper gemeint sind, so sind sie bloßer Staub. In Gottes Sicht war Jesus ebenso Staub wie es Adam oder die Menschheit ist. Die Größe Jesu stammt von dem göttlichen Befehl ‚sei’: Denn danach war er – mehr als Staub – ein großer spiritueller Führer und Lehrer.“

 

A. Yusuf Ali geht davon aus, dass Adam der erste Mensch war, aber wie kann er dann sagen: „In der Tat wurde Adam ohne einen menschlichen Vater oder eine Mutter geboren“? So wie er die Schaffung Adams versteht, handelte es sich gewiss um keine Geburt. Hier klingt außerdem ein etwas seltsamer Vergleich an: Jesus ist vor Allah wie Adam, der keinen Vater und keine Mutter gehabt haben soll, weil – wiederum – Jesus keinen Vater gehabt haben soll. Welche logische Beziehung schafft ein solcher Vergleich?

 

Die Tatsache, dass der Qur’ân den Vater Jesu nicht erwähnt, sollte man nicht überbewerten. Denn auch von anderen Propheten und Gesandten werden weder Vater oder Mutter genannt, ohne dass das eine besondere Bedeutung hat. Und z. B. von Mose wird auch nur über dessen Mutter mehrfach berichtet, nicht über seinen Vater.

 

Welches Überlieferungsmaterial gibt es hierzu?

 

Im tafsîr von aT-Tabarî  (224 – 310 h.), der die Ansicht vertritt, Jesus habe keinen Vater gehabt, finden wir Beispiele von Überlieferungen über die Gespräche Muhammads (S.) mit Angehörigen der Abordnung aus najrân, einem von Christen bewohnten Gebiet, die keine Aussage darüber machen, ob Jesus einen Vater hatte oder nicht, aber in denen zum Ausdruck kommt, dass er – wie jedes andere Kind – gezeugt wurde.

 

Ein Beispiel aus dem tafsîru`T-Tabarî  zu (3: 2), Band 3, Teil 3, S. 108 – 109 (Unterstreichungen von mir):

„Mir überlieferte al-muthannâ, der sagte: Uns überlieferte  isHâq, der sagte: Uns überlieferte ibn abî ja’far, von ar-rabî’ zu Seinem Wort:

„Allah – es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Lebendigen, dem Beständigen“ sagte er: Die Christen kamen zum Gesandten Allahs (S.) und stritten mit ihm über Jesus, Sohn der Maria. Sie fragten ihn: Wer ist sein Vater? und äußerten über Allah Lügen und Verdrehungen - es gibt keinen Gott außer Ihm, Er nahm Sich keine Gefährtin, noch einen Sohn! Der Prophet (S.) fragte sie: Wisst ihr denn nicht, dass es keinen Sohn gibt, der nicht seinem Vater ähnelt? Sie antworteten: Ja, doch. [Weiter] fragte er: Wisst ihr denn nicht, dass unser Herr lebt und nicht stirbt, Jesus jedoch dahinging? Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Wisst ihr denn nicht, dass unser Herr für alles die Verantwortung trägt, es bewahrt, behütet und versorgt? Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Und hat Jesus daran einen Anteil? Sie antworteten: Nein. Er fragte: Wisst ihr denn nicht, dass Allah, erhaben und mächtig ist Er, nichts auf der Erde und im Himmel entgeht? Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Wusste Jesus etwas davon, außer was Er (ihn) lehrte? Sie antworteten: Nein. Er sagte: Unser Herr formte Jesus im Mutterleib, wie Er wollte. Wusstet ihr das? Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Wisst ihr denn nicht, dass unser Herr keine Nahrung zu Sich nimmt und kein Getränk und keine natürlichen Bedürfnisse hat? Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Wisst ihr denn nicht, dass eine Frau mit Jesus schwanger wurde (bzw.: war) so, wie eine Frau schwanger wird (bzw.: ist), sie ihn gebar, wie eine Frau ihr Kind gebärt, ihn stillte, wie ein Kind gestillt wird, er dann feste und flüssige Nahrung zu sich nahm und natürliche Bedürfnisse hatte. Sie antworteten: Ja, doch. Er fragte: Wie kann es dann (so) sein, wie ihr behauptet? [Weiter] sagte [der Überlieferer]: So erfuhren sie (es). Dann wiesen sie (es) zurück, ohne (es) bestreiten (zu können). Allah, erhaben und mächtig ist Er, offenbarte dann: „a – l - m, Allah – es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Lebendigen, dem Beständigen“.

 

2 – Jesu Tod

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 286, Stichwort „Kreuzigung“:

Kreuzigung, in Persien entwickelte, in hellenist.-röm. Zeit verbreitete Todesstrafe von besonderer Grausamkeit. Die K. [= Kreuzigung] erfolgte durch Befestigung der Hände und Füße mit Stricken oder Nägeln an einem eingerammten Pfahl samt Querholz [...]. Der qualvolle Tod erfolgte meist erst nach Tagen durch Durst, Erschöpfung und Kreislaufkollaps. – bei den Juden galt die K. als besonders entehrend aufgrund von 5 Mose 21, 22 f. (vgl. Gal 3, 13).“

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 247 – 250, Stichwort „Jesu Christus“:

„[...] Nach der wahrscheinlichsten Datierung fand die Hinrichtung durch Kreuzigung am Rüsttag des Paschafestes des Jahres 30, der auf einen Freitag fiel, d.h. am Freitag, dem 14. Nissan 30, statt (Joh 19, 31). [...]“

 

Wie lange blieb Jesus am Kreuz?

 

Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments vergingen von der Kreuzigung Jesu bis zur Abnahme vom Kreuz nur wenige Stunden.

 

Reclams Bibellexikon, Stuttgart 1978, S. 475, Stichwort „Stunde“:

Stunde.  Nach jüd. Zeitrechnung zerfiel der Tag  zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang  in 12 je nach Jahreszeit unterschiedlich lange  S.n [= Stunden]; so ist die 3. S. [= Stunde] etwa 12 Uhr (Mk 15, 25), die 9. S. (Mk 15, 34) etwa 15 Uhr. [...]“

 

Nach seinem Prozess vor Pilatus hing Jesus nach Matthäus 27, 45 in der sechsten Stunde schon am Kreuz und um die neunte Stunde (Mt 27, 46) verschied er. Ebenso bei Lukas 27, 44. Nach Markus 15, 25 wurde er in der dritten Stunde gekreuzigt, und in der neunten Stunde (Mk 15, 34-37) verschied er. Nach Johannes 19, 14 befand sich Jesus in der sechsten Stunde noch vor Pilatus, danach wurde er gekreuzigt und verschied noch am Rüsttag (Joh 19, 30-31), und noch an demselben Tag wurde er in ein Grab gelegt (Joh 19, 42).

 

Nach diesen Textstellen vergingen zwischen 3 bis 6 Stunden am Kreuz, bis er verschied - eine sehr kurze Zeit im Vergleich dazu, dass der Tod „meist nach Tagen durch Durst, Hunger und Kreislaufkollaps“ erfolgte.

 

Was geschah nach der Grablegung von Jesus?

Lexikalisches

 

Reclams Bibellexikon, S. 55 – 57, zum Stichwort „Auferstehung“:

„[...] Insgesamt jünger sind die A.s [Auferstehungs-]-Berichte der Evangelien. Trotz starker Verschiedenheit im einzelnen lassen sie sich auf drei Grundtypen zurückführen: a) Grabesgeschichten, die vom Auffinden des leeren Grabes durch Frauen aus seinem Jüngerkreis am Tag nach dem Paschafest berichten. Ihre ursprüngliche Form, die in Mk 16, 1-8 vorliegt, wurde später durch die Einfügung einer Erscheinung Jesu am leeren Grab (Mt 28, 9 f.; Joh 20, 11-18), durch die Nennung weiterer Zeugen (Joh 20, 3-9, Petrus und der Lieblingsjünger am leeren Grab!) sowie durch  die – zur Abwehr jüd. Verdächtigungen erzählte – Episode von den Grabeswächtern (Mt 28, 11-15) erweitert. Als historischer Kern wird wahrscheinlich gelten können, daß man das Grab Jesu tatsächlich leer gefunden hat. b) Erscheinungen zur Beautragung und Sendung des Jüngerkreises: Mt 28, 16-20; Lk 24,44-53; Joh 20, 19-23; 21, 1-23). Und zwar weist die ältere Schicht dieser Berichte (Joh 21) nach Galiläa, wo anscheinend der Ort der ersten Erscheinungen gewesen ist. Erst später erzählt man dann auch von Erscheinungen in Jerusalem, dem Ort des leeren Grabes. c) Den geringsten geschichtlichen Wert haben die stark erbaulich stilisierten Erzählungen von Erscheinungen des Auferstandenen vor einzelnen (Lk 24, 13-35; Joh 20, 24-29). [...]“

 

Eine wahrscheinlichere Erklärung?

 

Wenn man einmal annimmt, dass die zitierten Angaben einen historischen Kern haben, man Wundergeschichten beiseite lässt und sich an die erkennbaren Fakten hält, so trat der angenommene Tod Jesu viel zu früh ein. Der wahrscheinlichere Fall ist daher, dass er am Kreuz ohnmächtig wurde und für tot gehalten, dann leblos in eine kühle Grabkammer gelegt wurde. Als man wieder nach ihm sah, fand man sie leer vor, d.h. er hatte sie – nachdem er wieder zu sich gekommen war – verlassen und wich nach Galiläa aus, wo er sicherer war als in Jerusalem und wo er mit den Jüngern wieder zusammentraf.

 

Der „Tod“ Jesu im Qur’ân


(4: 157)

Und wegen ihrer Rede: „Wir haben den Messias, Jesus, den Sohn der Maria, den Gesandten Allahs getötet“; während sie ihn doch weder erschlugen noch den Kreuzestod erleiden ließen, sondern es erschien ihnen nur so; und jene, die in dieser Sache uneins sind, sind wahrscheinlich im Zweifel darüber; sie haben kein Wissen davon, sondern folgen bloß einer Vermutung; und sie haben ihn mit Gewissheit nicht getötet.

 

So finden wir bei Maulana Muhammad Ali, The Holy Qur’ân, Arabic Text, Translation and Commentary, Lahore 1951, zu dieser Stelle (S.230 f., Kommentar 645):

„[...] Die Worte mâ Salabû-hu verneinen nicht, dass Jesus ans Kreuz genagelt wurde; sie verneinen, dass er am Kreuz sein Leben ließ als Ergebnis davon, dass er daran genagelt wurde (T, LA). Salaba-hu bedeutet er töte ihn in einer bestimmten wohl bekannten Art (LL). Dass Jesus eines natürlichen Todes starb, wird klar in 5: 117 festgestellt: ‚Und ich war über sie Zeuge, solange ich unter ihnen weilte, doch seit Du mich sterben ließest, bist Du der Wächter über sie gewesen’. [...] Die Evangelien enthalten klares Zeugnis, das zeigt, dass Jesus Christus dem Tod am Kreuz entkam. Die folgenden Punkte sollten beachtet werden: (1) Jesus blieb nur für wenige Stunden am Kreuz (Markus 15: 25; Johannes 19: 14), aber der Tod durch Kreuzigung erfolgte immer erst nach längerer Zeit. (2) Die beiden Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, waren immer noch am Leben, als sie vom Kreuz genommen wurden; die Annahme ist, dass auch Jesus am Leben war. (3) Den beiden Verbrechern wurden die Beine gebrochen, aber im Falle von Jesus wurde darauf verzichtet (Johannes 19: 32, 33). (4) Als Jesus in die Seite gestochen wurde, strömte Blut hervor, und das war ein sicheres Zeichen von Leben. (5) Sogar Pilatus glaubte nicht, dass Jesus tatsächlich in so kurzer Zeit gestorben war (Markus 15: 44). (6) Jesus wurde nicht wie die beiden Verbrecher beerdigt, sondern wurde dem wohlhabenden Jünger von ihm übergeben, der sich eingehend um ihn kümmerte und ihn in eine geräumige Grabkammer brachte, die in die Seite eines Felsen gehauen war (Markus 15: 46). (7) Als die Grabkammer am dritten Tag gesehen wurde, fand man den Stein von ihrer Öffnung entfernt, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn eine übernatürliche Auferstehung stattgefunden hätte.  (8) Als Maria ihn sah, hielt sie ihn für einen Gärtner (Johannes 20: 15), was zeigt, dass Jesus sich als Gärtner verkleidet hatte. (9) Eine solche Verkleidung wäre nicht erforderlich gewesen, wenn Jesus von den Toten auferstanden wäre. (10) In demselben Körper aus Fleisch sahen die Jünger Jesus, und die Wunden waren immer noch da, tief genug, dass ein Mann seine Hand hineinstecken konnte (Johannes 20: 25 – 28). (11) Er empfand immer noch Hunger und aß, da seine Jünger aßen (Lukas 24: 39 – 43). (12) Jesus Christus unternahm eine Reise nach Galiläa mit zwei seiner Jünger, die Seite an Seite mit ihm wanderten (Matth. 28: 10), was zeigt, dass er auf der Flucht zu einem Zufluchtsort war; eine Reise nach Galiläa war nicht notwendig, um in den Himmel aufzufahren. (13) In allen Erscheinungen nach der Kreuzigung wird Jesus angetroffen, als ob er fürchtete, entdeckt zu werden. (14) Jesus Christus betet die ganze Nacht vor seiner Verhaftung um Errettung vor dem Tod am Kreuz, und er bat auch seine Jünger, für ihn zu beten; die Gebete eines rechtschaffenen Menschen in Kummer und Not werden immer erhört. Er scheint sogar ein Versprechen von Gott erhalten zu haben, errettet zu werden, und dies Versprechen war es, auf das er sich bezog, als er am Kreuz ausrief: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?’ Heb. 5: 7 macht die Angelegenheit noch deutlicher, da dort klar festgestellt wird, dass das Gebet Jesu angenommen wurde: ‚Er hat in den Tagen seines Fleisches Bitten und Flehrufe mit lautem Geschrei an den gerichtet, der ihn vom Tode erretten konnte, und ist erhört worden um seiner Frömmigkeit willen.’

Die Aussagen, die im Qur’ân gemacht werden, bekräftigen die obigen Aussagen, die von den Evangelien angeführt wurden. Jesus starb nicht am Kreuz, noch wurde er getötet, wie es mit den beiden Dieben geschah, aber den Juden erschien er, als ob er tot gewesen wäre.“

 

Um auf die anfangs gestellte Frage zurückzukommen: Gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was Allah geschaffen hat und dem, was Er den Menschen offenbart hat?

 

Bei kritischem Blick auf die Texte des Neuen Testaments bleibt von den christlichen Glaubenssätzen zur Geburt und zum Tode Jesu ein als historisch anzunehmender Kern, den man ohne auf „übernatürliches“ Geschehen zurückgreifen zu müssen, verständlich erklärt werden kann.

Und wenn man allein dem Wortlaut des Qur’âns folgt, so gibt es in ihm auch keinen Hinweis auf ein „übernatürliches“ Geschehen, sondern Jesus wurde wie alle anderen Menschen gezeugt, ausgetragen und geboren.

Und was die Berichte von seinem Tod betreffen, so geben die Schriften des Neuen Testaments eine Fülle von Anhaltspunkten. Und wenn man sie in einen vernünftigen Zusammenhang stellt, so zeigen auch sie, dass er nicht von den Menschen am Kreuz oder auf andere Weise getötet wurde, sondern nachdem er ohnmächtig und leblos vom Kreuz genommen wurde, sich soweit wieder erholte, dass er nach Galiläa fliehen konnte und dort mit seinen Jüngern zusammentraf.

Über das weitere Schicksal Jesu erfahren wir aus den biblischen Schriften – bis auf das Erwähnte – nichts. Auch der Qur’ân berichtet lediglich, dass Jesus dem Kreuzestod entging – mehr nicht, vergleichbar etwa mit Lot, über den als letztes gesagt wird, dass er und seine Anhänger der Vernichtung der Stadt entkamen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Propheten und Gesandten.