Islam konkret

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Religionswerdung des Christentums

Die Idee, Fragen nach der Entstehung der Religionswerdung des Christentums zu stellen, kam mir bei der Frage, was Buddhismus, Christentum und Islam gemeinsam haben bzw. auf den ersten Blick unterscheidet. Dabei begebe ich mich auf ein für mich überglattes Parkett, immer in der Gefahr als Nicht-Theologe Falsches oder Unsinn zu reden.

 

Buddhismus wurde von einem Autor als Weisheitslehre statt Religion bezeichnet, andererseits erinnere ich aus einer TV-Reportage die Äußerung eines buddhistischen Mönchs, Buddhismus sei eine atheistische Religion, eine Religion ohne den Glauben an eine Gottheit. Wie ich es sehe, ist sie das Ergebnis von Versenkung und Meditation des Begründers unter Prüfung von und Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ideen. Und mit einem erstaunlichen Ergebnis, das sich im Wesentlichen auf die erfahrbaren Phänomene stützte, was die Erfahrbarkeit eines Gottes im jüdisch-christlichen-muslimischen Sinne offenbar ausschloss. Es ist in dem Sinne keine Offenbarungsreligion, dass Offenbarung von „außen“ an den Begründer herangetragen wurde, sondern eher in dem Sinne, dass das Erfahrbare in beeindruckendem Maße sich ihm öffnete, sich auf diese Weise offenbarte.

Während das Theravada/Hinayana sich eng an die Lehren Buddhas hielt, bedeutete das Mahayana eine Weiterentwicklung bestimmter Ideen.

Und ein kleiner Einschub: Obwohl der Buddhismus über lange Zeit auf dem indischen Subkontinent vorherrschte, sind erstaunlicherweise nach der Literatur keine Einflüsse auf der arabischen Halbinsel zu finden – anders als beim Juden- und Christentum -, zumal im Süden, der ja für die Handelsströme in allen Geschichtsperioden wichtig war. Mein Verdacht, dass die „Hanîfen“ vor der Zeit der Verkündigung des Islams - in der Regel einzelne fromme, asketische Leute - eine arabische Form sein könnte, ließ sich nicht bestätigen. Die Orientalisten sehen alle möglichen Einflüsse, aber keine buddhistischen. Auch die Herkunft des Wortes ist umstritten. Die Idee mit den „buddhistischen“ Hanîfen kam mir, als ich Anhänger des Diamantfahrzeuges sah, die sich rituell niederwarfen, wie es auch von den Hanîfen berichtet wird.

Der Ausdruck „Hanîf“ ist auch qur’anisch und bezeichnet dort Leute, „die die echte und reine  Religion haben“, weder Juden noch Christen sind und keine Polytheisten (Handwörterbuch des Islam). So wird auch Abraham ein Hanîf genannt.

Der Islam: Vor seinem Erlebnis, durch das er sich zum Propheten und Verkünder der Lehre Gottes ernannt sah, zog Muhammad sich oft tagelang zurück. In der (muslimischen) Encyclopaedia of Seerah, Band 1, S. 21 f. heißt es: „All these years, Muhammad (peace be upon him) tried hard to search for the truth. He was very much disturbed by the appalling misery and evil of his time. His wife always gave him great support in his efforts to find the way out of the prevailing darkness of evil and idolatry. He often took food with him to the mountain of Hira and stayd there for days. (…).” Nach Ibn Ishaq, das Leben des Propheten, ging er dorthin, um zu beten.

Auf der einen Seite kann man hier Versenkung und Gebet annehmen, auf der anderen Seite drang etwas von „außen“ auf ihn ein, das Erlebnis mit dem Engel Gabriel, mit der Aufforderung, das Wort Gottes zu verkünden.

Was den Islam ausmacht - Lehre, Gebote, Anweisungen für das religiöse und praktische Leben - geht auf den Qur’an und Muhammad (Friede sei mit ihm) zurück, und die Muslime sind immer wieder in der Geschichte zu diesen beiden Quellen zurückgekehrt, um Entwicklungen, die sich im Laufe der Zeit ereigneten, zu überprüfen und gegebenenfalls wieder abzulegen.

Und hierin liegen meine Schwierigkeiten beim Verständnis der Religionswerdung des Christentums. Jesus selbst gründete keine neue Religion, selbst die Anhänger von Jesus benannten sich erst viel später mit dem Wort Christen, das sie von jenen übernahmen, die sie von den übrigen Juden unterscheiden wollten. Und es sieht so aus, als sei das Christentum in wesentlichen Teilen eine Lehre, die sich gebildet und ausgeformt hat, nachdem Jesus nicht mehr unter seinen Anhängern weilte – also eine Lehre, die sich in religiösen Vorlieben, Schlussfolgerungen, Annahmen und Ideen der Leute nach ihm, die sich zu ihm bekannten, zeigte. Auch ein für die Kirche so wichtiger Zeuge wie Paulus kannte Jesus nicht persönlich, sondern erfuhr seine Verehrung für ihn als Folge seines Damaskus-Erlebnisses. Und er ging sogar einen Schritt weiter als die Jünger, als er - wohl mit Blick auf den Missionserfolg unter den Heiden, unter denen er aktiv war - jüdische Gebote und Regeln als irrelevant ansah.

Oder anders ausgedrückt: Jesus mit seinen Anhängern lebte als Jude unter Juden, befolgte jüdische Gebote, stellte sie nicht in Frage, feierte jüdische Feste, nahm an Gottesdiensten in der Synagoge teil, glaubte an den Einen Gott wie die anderen Juden auch, nicht an einen zweigeteilten (Vater und Heiliger Geist), dessen dritter Teil er später wurde – welcher seiner späteren Anhänger tut das noch?

Als Jesus nach Matthäus (27, 46) und Markus (15, 34) an Kreuz hing, soll er mit folgenden, ergreifenden Worten zu Gott gefleht haben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ – sie gelten als „sicher echte“ Worte Jesu, verzweifelte Worte eines Menschen, der darin nicht einmal andeutet, dass er Teil der späteren Dreieinigkeit sein wird, somit eigentlich Gott gleich, Gott sei. Dieser Ausspruch wird in dem Evangelium auf aramäisch überliefert, die Sprache, die Jesus während seines ganzen Lebens sprach, nicht das Griechische, in dem die Evangelien verfasst sind. Mit anderen Worten: Jesus ahnte offenbar nicht einmal, dass er mehr als ein einfacher Mensch gewesen sein soll – was spätere Generationen jedoch von ihm behaupteten, die ihn zu einem Teil der sogenannten Dreieinigkeit machten.

Christen (Muslime übrigens auch) akzeptieren heute allgemein, er sei von einer Jungfrau ohne den Zeugungsakt durch einen Mann entstanden. Doch enthält das Neue Testament auch mehrere Passagen, die auf eine normale Entstehung hinweisen.

Schon Paulus hatte nicht den irdischen Jesus gelehrt, sondern seine Vision von ihm als überhöhte Gestalt. Durch seine Missionstätigkeit („Heidenmission“) wurden zahlreiche Menschen mit zuvor römisch-griechischem Hintergrund für seine Lehre gewonnen. Für sie war es ein vertrauter Gedanke, dass z. B. der ‚Göttervater’ Zeus Kinder mit menschlichen Frauen zeugte, sogenannte Heroen, ausgestattet mit besonderen Kräften. Vor diesem Hintergrund und der späteren Vorstellung von Jesus als jemand mit besonderen Fähigkeiten konnte die Geburtsgeschichte eines durch Gottes Einwirken entstandenen Kindes entstehen - unter Ausschluss eines menschlichen Vaters - und sich unter den anderen verbreiten. Sie wurde erkennbar einigen der Evangelien später erst hinzugefügt. Der Kampf um die Dreieinigkeit war letztendlich der Versuch der frühen Christen, mehrere Vorstellungen von gottähnlichen Wesenheiten zu einem einzigen Gott zu vereinen, um sich so dem alttestamentlichen Gottesbild wieder anzunähern. So blieb auch hier von dem als Juden lebenden Jesus nicht mehr als sein Name.

Nach der Quellenlage kannte noch feierte er seinen Geburtstag (der ja erst im Laufe des 4. Jahrhunderts von der Kirche festgelegt wurde, auf den Festtag für den Sonnengott- sol invictus, dem unbesiegbaren Sonnengott), auch die weiteren eigentlichen christlichen Feiertage waren für ihn kein Anlass, sie mit einem Gottesdienst zu begehen oder jemanden dazu aufzufordern. Stattdessen aber rückte er immer mehr in das Zentrum der Verehrung seiner Anhänger, und erfuhr schließlich in der Vorstellung seiner Anhänger eine erstaunliche „Karriere“ von einem einfachen Menschen, gläubigen Juden, der schließlich Teil der von den Generationen nach ihm hart umkämpften Idee der Trinität (Vater, Sohn und Heiliger Geist) wurde – alles Lehren, die nach ihm entstanden und nicht direkt auf ihn zurückgeführt werden können.

Sein Tod – wegen der kurzen Zeit von 3 bzw. 6 Stunden am Kreuz – wird in wissenschaftlichen christlichen Nachschlagewerken in Frage gestellt, die dafür mehrere Tage ansetzen, so dass er vermutlich nur ohnmächtig war und für tot gehalten wurde, als er vor Beginn des Sabbats vom Kreuz genommen wurde und nach einiger Zeit in einer kühlen Höhle, einer Felskammer, wieder zu sich kam, sich erholte und so sich seinen Anhängern später zeigen konnte. Mit anderen Worten: Weder gab es eine Auferstehung von den Toten, noch eine „Himmelfahrt“.